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Rezension | „Shuggie Bain“ von Douglas Stuart

Glasgow, England, 1980er-Jahre.

Margaret Thatchers neoliberale Politik hat dazu geführt, dass im Norden des Landes viele Mienen ihren Betrieb einstellen mussten und eine hohe Arbeitslosigkeit in den entsprechenden (Bergarbeiter-)Milieus entstanden ist.

Geldmangel, Hoffnungslosigkeit und Tristesse prägen den Alltag der Bevölkerung. Viele haben nicht mehr die Kraft, sich aufzuraffen und ihrem trostlosen Schicksal entgegenzustellen.

Nicht so Agnes. Zwar lebt auch sie mit ihren drei Kindern (wie viele andere) noch mit Mitte 30 bei Ihren Eltern, doch tut sie alles, um sich im vermufften Wohnzimmer ihrer Eltern ihre Lebensfreude, ihren Stolz und ihre Chancen zu bewahren. Vieles scheint sich zum Besseren zu wenden, als sie den Taxifahrer Shug Bain kennenlernt; er verspricht ihr eine bessere Zukunft in einem anderen Stadtviertel und gewalttätig wird er auch nur ab und zu (ein echter Glücksgriff also).

Und doch soll alles anders kommen – die neue Siedlung entpuppt sich als besonders schwer von der Massenarbeitslosigkeit betroffen und anstatt die gesellschaftliche Leiter hinauf zu klettern, sind Agnes und ihre Kinder nun wirklich ganz unten angekommen. Auch Shug hat sich die Sache ganz anders vorgestellt und packt kurzerhand seine sieben Sachen und lässt Agnes samt Kinder im Stich.  Auch diese merken, dass sie schleunigst auf eigenen Beinen stehen und ihre Mutter verlassen müssen, um überhaupt auch nur die geringste Chance auf ein „vernünftiges“ Leben zu haben. Alsbald verschwinden auch sie und lassen Agnes mit ihrem jüngsten Kind „Shuggie“ zurück. Kein Wunder also, dass nach diesen Rückschlägen der Alkohol umso verführerischer für sie zu sein scheint und sie schon bald mit einigen Starkbier den Tag startet, um den Alltag irgendwie erträglicher zu machen. Währenddessen hat auch der junge „Shuggie“ seine ganz eigenen adoleszenten Probleme und so beginnt eine äußerst schwierige Co-Abhängigkeit zwischen den beiden Form anzunehmen…

Douglas Stuart schafft es in seinem (teilweise autobiografischen) Debut-Roman „Shuggie Bain“ ein wirklich schwieriges Milieu zu porträtieren. Ehrlich und sensibel zugleich zeichnet er den Alltag der Siedlung, der, geprägt von Gewalt, Tristesse und bitterer Armut oftmals nur mit reichlich Alkohol zu ertragen ist.

So fragt man sich als Leser mehr als einmal, ob die Personen in diesem Roman überhaupt jemals eine Chance hatten.

Wenn Agnes es also morgens nicht schafft, ihrem Sohn etwas zu essen zu machen, weil sie sich am Abend zuvor wieder KO getrunken hat, oder ihn mit dem letzten Haushaltsgeld losschickt um noch mehr Alkohol für sich, statt Lebensmittel zu kaufen, so verspürt man in den seltensten Fällen Antipathie, Missgunst oder har Hass für sie, sondern einfach nur Traurigkeit, dass die Dinge für sie so gelaufen sind und weiß, dass sie von vornherein kaum eine Chance hatte.

Gleichzeitig scheinen die kleinen Glücksmomente des Buches umso heller – wenn Agnes es schafft über einen längeren Zeitraum trocken zu bleiben; wenn sie großartige, klare Momente mit ihrem Sohn verbringen kann…auch wenn diese nur rar gesät sind.

Die raue Sprache der ehemaligen schottischen Bergbau-Region (welche mit einer tollen, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftigen Mischung aus Ruhrpott- und Berliner-Dialekt übersetzt wurde) sorgt für die nötige Authentizität, sodass man sich Agnes‘ und Shuggies Welt lebendig vorstellen kann.

Für mich ist „Shuggie Bain“ ein Beweis dafür, was Literatur zu schaffen vermag – Ecken unserer Gesellschaft zu beleuchten, die auch heute noch viel zu häufig übergangen werden; Empathie zu schaffen für Menschen, die in ihren prekären Situationen und entsprechenden Aktionen oftmals nur schwer zu verstehen sind,…

Und auch wenn es bestimmt kein „einfaches“ Buch ist, so war es doch ein wichtiges und eines meiner Lesehighlights 2021.

 

Eine Empfehlung von Nico Bärenklau

Hanser

496 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN: 978-3-446-27108-1

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